Menschenrechtsverletzung im eigenen Zuhause Teil 1: Häusliche Gewalt, ihr Kreislauf und die aktuelle Gesetzeslage
Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um körperliche und psychische Gewalt gegen Frauen. Die Inhalte machen ohne Frage betroffen und können bei LeserInnen negative Gefühle und Reaktionen auslösen. Bitte seien Sie beim Lesen dieses Artikels achtsam mit sich.
Studien aus der Vergangenheit zeigen, dass jede 4. Frau im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt hat. Und zwar nicht überwiegend in Form von Bedrohungen (oder sogenannten “Catcalls”) auf der Straße, sondern im eigenen Zuhause. Die Ursachen für diese enorm verbreitete Menschenrechtsverletzung sind vielfältig, die Lösung dafür fängt in der Gesellschaft an: Enttabuisierung ist der erste Schritt in Richtung Gewaltprävention und Opferschutz.
Also, lasst uns über dieses – leider immer noch viel zu präsente – Thema sprechen. In diesem Artikel schreibe ich über die Formen häuslicher Gewalt sowie ihren Kreislauf und wie man ihn durchbrechen kann. Außerdem informiere ich über Stellen, bei denen sich Angehörige und Betroffene in Österreich Hilfe holen können und sollten.
Femizide in Österreich: Mittlerweile auf der politischen Agenda
2020 wurden 31 Frauen von Ex-Partnern oder Familienmitgliedern ermordet. Im jungen Jahr 2021 waren es bereits 9. Das sind die Ereignisse rund um Gewalt gegen Frauen, über die wir in den Nachrichten erfahren oder lesen können. Nach dem jüngsten Mord an einer Frau in Wien, merkt man nun, dass auch die Politik sich vermehrt diesem Thema annehmen will. Die Frage in den Medien lautet immer wieder: “Wie konnte es nur so weit kommen?”
Wie entsteht Gewalt gegen Frauen und warum ist sie auch im 21. Jahrhundert noch ein Thema?
Gewalt gegen Frauen hat unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt die körperliche Ebene, bei der Frauen tatsächlich mit Gegenständen oder Händen und Füßen getreten und geschlagen werden. Die Liste der körperlichen Misshandlungen ist endlos. Täter wollen erniedrigen, Opfer erleben Todesangst. Frauen werden aber auch Opfer psychischer Gewalt. Hier geht es um Drohungen, Isolation, Abwertungen und andere Aussagen, um die Macht über die Frau zu demonstrieren.
Gewalt wird in vielen Fällen auch nicht direkt an der Frau ausgeführt oder angedroht. Viele Täter drohen vielmehr damit Verwandte oder Haustiere zu verletzen, um Opfer einzuschüchtern.
Als Gewalt gilt übrigens auch das Lächerlich Machen vor anderen Menschen, ständiges Beleidigen und Aussagen, die das Selbstwertgefühl angreifen oder die Werte des Opfers infrage stellen. Typische Sätze sind: „Du bist wirklich zu blöd für alles.“, oder „Du wärst nichts ohne mich.“
Da ist die Liste der Unterdrückung von Frauen in den eigenen vier Wänden aber noch nicht vorbei.
Weitere “Machtdemonstrationen” sind:
- Geld verwalten und unzureichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen
- Isolation (auch: Verbote von Sprachkursen bei Nichtmuttersprachlerinnen und Telefonverbot)
- Kontrolle der Frau durch Öffnen ihrer Post
- Vorschriften bezogen auf das Äußere des Opfers
- Scheinbar sinnlose „Anordnungen“ wie Badezimmer-Artikel nach Farbe sortieren.
- Stalking
- Sexualisierte Gewalt (von Beschimpfung bis hin zu Vergewaltigung)
Ein übergeordnetes Problem der häuslichen Gewalt ist die strukturelle Gewalt in der Gesellschaft. Viele Frauen verdienen immer noch weniger als Männer und sind mit einer schlechteren Ausgangssituation am Arbeitsmarkt konfrontiert. Alleinerzieherinnen würden kaum über die Runden kommen und sind somit abhängig von einem Partner – auch wenn dieser gewalttätig ist.
Eine Zusammenfassung: Wie ist die Gesetzeslage?
Die Zeiten in denen der „Hausherr“ seiner Ehefrau die Arbeit verbieten durfte sind vorbei. Aber erst seit den 70er Jahren. Dementsprechend langsam entwickelten sich auch die Gesetze zum Schutz der Frau bei häuslicher Gewalt, Gewalt ausgehend vom Partner oder in der Ehe. Es ist beispielsweise eine Wahnsinnsvorstellung, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit 2004 als Delikt behandelt wird.
Erst 2009 ist Grundlegendes passiert. Und zwar mit der Einführung des zweiten Gewaltschutzgesetzes, das unter anderem Betretungsverbote verlängert hat und fortgesetzte Gewaltausübung quasi „zusammenzählt“.
Der 24-Stunden-Notruf in Wien ist in der Lage ganz genau und detailliert über die rechtliche Lage Auskunft zu geben. AnruferInnen bleiben dabei selbstverständlich anonym. Das Team gibt auch Auskünfte, wenn man sich gar nicht sicher ist, ob es sich überhaupt um häusliche Gewalt handelt …
Was passiert mit Kindern, die häusliche Gewalt (mit)erleben?
In Untersuchungen aus der Vergangenheit geht hervor, dass fast 50 % der Frauen, die Gewalt in der Beziehung erlebt haben mit Kindern zusammen gewohnt haben. Kinder sind Zuseher oder Zuhörer. Im schlimmsten aller Fälle werden sie auch selbst Opfer. Die Auswirkungen auf die Kinderseele sind dieselben wie auf die Psyche der Erwachsenen: Es entsteht ein Trauma, mit dem Kinder oftmals alleine gelassen werden.
Das bedeutet, dass jegliche Form der Gewalt im eigenen Zuhause sich emotional, kognitiv oder sogar körperlich auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Nicht selten haben Kinder, die Gewalt miterleben posttraumatische Stress-Störungen und sind im Alltag unkonzentriert, aggressiv und leicht reizbar.
Die Phasen von Gewalttätigkeit
Die im Folgenden beschriebenen Phasen laufen immer schneller ab, solange Täter und Opfer keine Änderung herbeiführen. In der Literatur werden diese Phasen als Kreislauf der Gewalt beschrieben. Im Anschluss gebe ich Tipps, welche Schritte man setzen muss, damit sich der Kreislauf durchbrechen lässt.
Die erste Phase wird als Spannungsaufbau bezeichnet. Hier wird der Mann zunehmend von Selbstzweifeln geplagt, die aus der Angst heraus entstehen, verlassen zu werden. Die Angst lässt ihn wütend werden, er spürt die Abhängigkeit von der Partnerin und zeigt erste Neigungen zu Gewalt. Die Frau reagiert mit Harmoniesucht und zeigt große Bemühungen ihm alles recht zu machen.
Bereits in der zweiten Phase bricht die Gewalt unkontrolliert aus. Das Opfer weiß nicht wie ihr geschieht, sie reagiert auf den Ausbruch mit Schock. Der richtige Ausdruck dafür wäre: Sie kann es noch nicht fassen. Das ist auch der Grund, warum sich wenige Frauen sofort Hilfe suchen. Hat die Frau begriffen, was gerade geschehen ist, ist das meist der Punkt, an dem die Beziehung abgebrochen wird, wenn nicht Phase 3 bereits begonnen hat:
In der letzten Phase bevor der Kreislauf erneut beginnt, tut der Mann alles, um seine Reue zu beweisen. Es kann teure Geschenke geben, großartige Liebesbekundungen oder sogar mit Selbstmord gedroht werden, wenn die Frau ihn verlässt. Wenn die Frau darauf einsteigt, fühlt sich das Paar in dieser Phase bald wie frisch verliebt.
Wodurch wird dieser Kreislauf unterstützt?
Gründe für Gewalt gegen Frauen im eigenen Zuhause sind wie Beginn bereits angedeutet vielfältig und nicht primär von der sozialen Schicht abhängig – wie man vielleicht glauben könnte. Täter sind vielmehr in allen sozialen Schichten und Berufsgruppen vorhanden – vom Manager bis zum Lehrer oder Schichtarbeiter. Gestärkt wird häusliche Gewalt durch das veraltete Rollenbild der Geschlechter. So kann ein Mann immer noch denken, dass er der starke, durchsetzungsfähige in der Beziehung ist, die Realität zeigt jedoch ein anderes Bild, da z. B.: Die Frau für ein Einkommen sorgt.
Der Täter wird durch diese Abweichung stark verunsichert, die Wut und Ohnmacht eskaliert in Gewaltausübungen gegen die Frau. Dieses (frauenfeindliche) Rollenbild muss in der Gesellschaft aufgebrochen werden.
Wie beendet man den Kreislauf?
Der erste Schritt gegen Gewalt in der Beziehung ist das Erkennen des Problems. Die Frau muss verstehen, dass sie Opfer von Gewalt wird und Hilfe suchen. Nun hilft es aber häufig nichts mit Freunden, Verwandten oder sogar der Polizei zu reden. Da die Ansprechpersonen nicht direkt auf solche Fälle vorbereitet sind oder geschult werden, entsteht oft Frustration beim Opfer und der Selbstwert leidet zusätzlich. Adäquate Stellen für Frauen, die Unterstützung brauchen sind Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren. Es ist besonders wichtig die richtige Stelle zu finden, da die Gefahr sonst groß ist, dass Opfer in der Beziehung bleiben.
Hier finden Sie eine Liste von adäquaten Stellen zur Beratung, Unterstützung und Akutintervention bei Gewalt gegen Frauen:
https://www.wien.gv.at/sozialinfo/content/de/10/SearchResults.do?keyword=Gewalt+gegen+Frauen
Auch als Angehörige sind Sie eine große Hilfe, wenn Sie diese Kontakte an das Opfer weitergeben. Außerdem ist es sehr wichtig, dem Opfer zu zeigen, dass sie nicht Schuld daran ist, Opfer von Gewalt zu werden.
Im zweiten Teil der Reihe über häusliche Gewalt gibt es noch mehr Tipps für Angehörige von Frauen, die Gewalt erleben, sowie eine detaillierte Erläuterung des zweiten Gewaltschutzgesetzes und wie es Frauen besser schützt.
Sollten Sie zu diesem Thema oder anderen traumatischen Erfahrungen Gesprächsbedarf haben, bin ich gerne für Sie da.
Über die Online-Terminvereinbarung können Sie sich gerne ein Erstgespräch vereinbaren, in dem wir uns 2 volle Therapieeinheiten kennenlernen und ich mir ein Bild Ihrer Situation machen kann. Was auch immer Sie bedrückt, ich freue mich, Sie bald unterstützen zu können.