Narzissmus: Egomanen mit kleinem Ego
Narzissmus ist heutzutage ein Trendbegriff geworden. Er umschreibt im alltäglichen Gebrauch ichbezogenes, selbst verherrlichendes Verhalten. Was es im Umgang mit diesem Begriff und mit narzisstischen Menschen zu beachten gilt, erkläre ich in diesem Artikel. Außerdem widmen wir uns den Gründen für die Persönlichkeitsstörung und der Frage, ob nicht jeder ein bisschen Narzissmus gebrauchen könnte.
Je kleiner das Sandkörnlein ist, desto sicherer hält es sich für den Mittelpunkt der Welt.
(Marie von Ebner Eschenbach)
Ist jeder, der sich selbst zur Priorität macht ein Narzisst?
In der Küchenpsychologie (Psychologie im Alltag, wenn man FreundInnen Trost spendet oder Verwandten mit Rat und Tat zur Seite steht.) ist man sich schnell einig: Jemand, der überwiegend ichbezogen handelt, die Bedürfnisse anderer nicht einmal ansatzweise versucht nachzuvollziehen und es gleichzeitig schafft, mit diesem Verhalten anderen Menschen den Kopf zu verdrehen, ist ein Narzisst. Oder eine Narzisstin.
Aber: Ich möchte im Umgang mit solchen Begriffen immer zur Vorsicht raten.
Diagnosen sind im Alltag schnell gestellt und doch sollte man berücksichtigen, dass in vielen, vielen Menschen (vielleicht sogar in uns allen?) narzisstische Anteile vorhanden sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass man unter pathologischem Narzissmus leidet, denn der ist wirklich extrem selten.
Erstes Learning: Es kommt auch bei Narzissmus immer auf die Stärke der Ausprägung an!
NarzisstInnen: Blender oder Quelle der Inspiration?
Narzisstische Anteile sind keineswegs nur negativ und destruktiv zu sehen. In Bereichen wie Kunst, Kultur oder auch der Politik feiern wir Narzissten sogar. Wir feiern sie für ihren Ehrgeiz oder ihre Andersheit. Sie bringen Glitzer in unser Leben!
Zumindest solange wir nicht eng mit ihnen zusammenarbeiten oder sogar zusammenleben. Denn Beziehungen mit Narzissten führen in vielen Fällen zu Selbstwertproblemen der gesunden Partner. Oder aber narzisstische Menschen lassen es erst gar nicht zu einer Beziehung kommen. Das ist oft der Fall in Kennenlernphasen, da NarzisstInnen das Spiel (“das Erobern”) vielmehr genießen als den Moment der Hingabe.
A little bit of narcissism, anyone?
Der amerikanische Psychologe Craig Malkin hat sich ausreichend mit Narzissmus beschäftigt. Aber auch mit seinem Gegenteil, das er Echoisten nennt. Echoisten sind in seinen Augen Menschen, die nicht auffallen möchten und ihr Licht täglich unter den Scheffel stellen. Er ist der Meinung, dass wir alle ruhig ein bisschen narzisstisch sein dürfen. Beziehungsweise sogar sollten.
Immerhin könnten gerade Menschen mit einem angeschlagenen Selbstbewusstsein etwas Selbsterhöhung gebrauchen. Den Personen, die ihren inneren Kritiker stärker hören als die Stimme, die ihnen sagt: “Gut gemacht! Du bist toll, weiter so.” könnte ein Hauch Narzissmus mehr Selbstwertgefühl geben.
PsychologInnen haben mittlerweile herausgefunden, dass ein positives Bild von sich selbst vor Krankheiten wie Depression schützen kann. Wer ständig nur seine Fehler sieht, neigt zu Unzufriedenheit. Das Traurige bei Narzissmus ist allerdings, dass Betroffene gar nicht zufrieden mit sich sind. Im Grunde ist der Narzisst ein Zweifler. Er zweifelt an sich selbst und seinem Wert. Durch die permanente Selbsterhöhung bekommt er scheinbare Anerkennung aus der Umwelt. Und auf diese sind Narzissten stark angewiesen. Fällt die Anerkennung weg, reagieren sie mit Vorwürfen und Kränkungen. In großen Krisen erkennen selbst große Narzissten, dass sie mit dem aufgeblasenen Verhalten bloß Leere kompensieren.
Das klingt alles ziemlich verwirrend für Sie? Also dann jetzt nochmal Klartext:
8 Fakten über Narzissmus:
- Pathologischer Narzissmus ist äußerst selten. Narzisstische Züge hingegen sind häufiger, es kommt jedoch immer auf die Ausprägung an.
- Narzissmus ist keine angeborene Persönlichkeitsstörung aber Anteile sind erblich. Er entwickelt sich durch äußere Faktoren wie Erziehung und Kultur, sowie eine allgemeine hohe Leistungserwartung.
- Narzissten arbeiten nicht gern im Team. Denn es geht stets um ihre eigenen Vorteile.
- Narzissten gelten heutzutage als behandelbar. Sie besuchen eine Therapie allerdings nur, wenn es einen enormen Tiefschlag gibt. Narzissten mit einer wenig stark ausgeprägten Störung arbeiten im Rahmen der Behandlung vor allem an ihrem Selbstwert und der Auflösung von narzisstischen Reaktionen. Sie sollen schließlich zu den Gefühlen (Angst oder Trauer), die sie einfach nicht spüren wollen, zurückfinden.
- LebenspartnerInnen, FreundInnen oder Familienangehörige von Menschen mit narzisstischen Ausprägungen wird fachliche Hilfeleistung empfohlen. Einerseits da das Leben mit einem narzisstisch gestörten Menschen vieles abverlangt, andererseits da sich in solchen Beziehungen oft destruktive Beziehungsmechaniken entwickeln, aus denen man mit therapeutischer Hilfe am einfachsten wieder herausfindet.
- Viele NarzisstInnen finden sich in Politik und Kunst. Aktuelle Beispiele sind Politiker Donald Trump und Vladimir Putin. Auch Fußballer Cristiano Ronaldo soll eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben.
- Wer von NarzisstInnen verletzt wird, sollte sich nicht schämen. Es ist ganz normal, dass wir anfangs durch ihr stolzes Verhalten geblendet beziehungsweise manipuliert werden. Kommen wir ihnen jedoch nahe, werden wir entweder bewusst verletzt oder einfach durch die Tatsache, dass wir nie eine Rolle spielen.
- NarzisstInnen sind erfolgreich und streben stets nach mehr. Ihr Tiefpunkt kann überraschend kommen. Und das, auch, wenn sie rein objektiv betrachtet, am Höhepunkt ihrer Karriere sind.
Was kann man nun tun, wenn man unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet oder mit einem narzisstischen Menschen zusammenlebt?
Die Antwort liegt auf der Hand. Nicht zuletzt, weil Sie gerade den Blog einer Psychotherapeutin lesen. Scheuen Sie sich nicht davor, fachliche Hilfe aufzusuchen. Es kann an den eigenen Kräften zehren, wenn man es mit einem aufgeblasenen Ego zu tun hat. Egal, ob im Job, beim Dating oder in einer bestehenden Partnerschaft: Sobald Sie einen Leidensdruck verspüren, ist es an der Zeit, etwas zu ändern!
Auch Umwege erweitern unseren Horizont.
(Ernst Ferstl)